Ein Gespräch mit Professor Markus Schächter, Schirmherr der Deutschen Stiftung Mediation

Herr Professor Schächter, Sie waren viele Jahre Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens und schon zuvor viele Jahre in herausgehobener Position beim ZDF. Mediation und Medium sind ja zumindest vom Wort her Verwandte. Gibt es außer dieser sprachlichen Verwandtschaft Berührungspunkte?

In der Tat. Der öffentlich rechtliche Rundfunk ist von seiner Idee her und bestätigt durch das erste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Medium und Faktor.
Als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter im öffentlichen Rundfunk hat man den vornehmen Auftrag der Vermittlung: Mitteilung an die einen, was die anderen denken, wollen oder tun, was sie an- und umtreibt und umgekehrt. Das Medium Radio oder Fernsehen ist Ort der Auseinandersetzung und gibt Regeln dieser Auseinandersetzung vor. Und wir kontrollieren diese Auseinandersetzung, indem wir die vermittelten Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Wir bringen Menschen miteinander ins Gespräch durch Sendungen, in denen ganz gezielt unterschiedliche, ja konträre Positionen aufeinander treffen. Auf diese Weise vermitteln wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Wir bringen Menschen in Kontakt, wir bringen sie zusammen, dass sie sich auseinandersetzen können.

Als Intendant waren Sie in besonderer Weise verantwortlich für das Gespräch der Gesellschaft, für die gesellschaftliche Kommunikation, den Austausch zwischen den unterschiedlichsten Gruppen und ihren Interessen.

Das Gespräch der Gesellschaft, die gesellschaftliche Kommunikation ist konstitutiv für unsere Zusammenleben, für unsere Demokratie. Nur durch Kommunikation erfährt man die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede, das Verbindende und Trennende zu anderen Menschen und Gruppen. Nur so werden gemeinsame Werte, die eine Gesellschaft zusammen halten, erfahren. Nur so zeigt sich der Minimalkonsens an Werten, der für eine Demokratie grundlegend ist. Wir leisten auftragsgemäß einen wichtigen Beitrag in einem Klärungsprozess: wem geht es in welcher Angelegenheit worum. Wo und weshalb existieren Gemeinsamkeiten, woraus ergeben sich Unterschiede in der Bewertung, im Handeln und Verhalten. Dabei geht es nicht nur um die Darstellung der jeweiligen Positionen, des Vordergründigen. Wenn wir unsere Arbeit richtig machen, müssen wir zu den dahinterliegenden Beweggründen vordringen, zu den leitenden Interessen. Und auch das ist ein Berührungspunkt zwischen unserem Medium und der Mediation. Denken Sie an das Eisbergmodell, mit dem ja daran erinnert wird, dass zunächst an der Oberfläche nur relativ wenig zu sehen ist, der größte, wichtigste und, wenn Sie so wollen, lebensentscheidende Teil sich zunächst den Blicken entzieht.

An herausgehobener Position in einem Unternehmen steht man quasi automatisch zwischen vielen Fronten. Und gleichzeitig sind einem Ziele vorgegeben.

Als Intendant befindet man sich in unterschiedlichen Spannungsfeldern. Als Vorgesetzter von fast viertausend festen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vielen freien Kolleginnen und Kollegen, als Ansprechpartner der Damen und Herren in den Aufsichtsgremien, als Zielscheibe unterschiedlichster Anliegen in Politik, Gesellschaft.

Als Intendant ist man auch verantwortlich für einen angemessenen Ausgleich, für eine Balance der Kräfte Und hier sind das, was man als „Mediative Techniken“ bezeichnen könnte, mehr als hilfreich. Das fängt bei der Erkenntnis an, dass meist nicht die eigene Person angesprochen ist, sondern die Funktion, dass Emotionen zugelassen werden müssen, weil sie Wegweiser zu den eigentlichen Interessen darstellen. Und das führt zu den Erkenntnissen der unterschiedlichen Ebenen der Mitteilungen und des Hörens, den Fertigkeiten des aktiven Zuhörens und vieler anderer Vorteile, in Ihrem Sprachgebrauch oft als Techniken bezeichnet. Diese sollte oder müsste man sich zum eigenen Vorteil aneignen, wenn man auch nur halbwegs überleben und halbwegs der Aufgabe gewachsen sein will.

Wie jedes Unternehmen in einer vergleichbaren Größenordnung war vermutlich auch Ihr Verantwortungsbereich sehr unterschiedlichen, wohl auch sehr kontroversen Erwartungen ausgesetzt.

Das ist in einem „Betrieb“, der, wie eingangs dargelegt, im gesellschaftlichen Spannungsverhältnis steht, normal und nachvollziehbar. Eine Fernsehanstalt unterliegt naturgemäß gewaltigen Außeninteressen. Aber Sie müssen sich auch wie in jedem Unternehmen mit Meinungsverschiedenheiten und Interessensunterschieden im eigenen Unternehmen auseinandersetzen und sich dazu verhalten. Das heißt, dass man Unterschiede und Konflikte zuerst einmal zur Kenntnis nehmen, also zulassen muss. Das bedeutet: man muss eine konstruktive Streitkultur entwickeln und etablieren. Konflikte sind zunächst ja nichts Negatives. Erst aus der Spannung entsteht Fortschritt und Veränderung. Aus der These und Antithese entsteht bekanntlich die Synthese.Wenn Sie es so sehen, ist jeder Verantwortliche auf den verschiedenen Ebenen in einem Betrieb vor die Aufgabe gestellt, zwischen unterschiedlichen Interessen seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu vermitteln, einen Ausgleich der Interessen und Ziele zu finden. Ohne es so zu nennen, ist er oder sie damit häufig als Konfliktlotse oder Mediator unterwegs. Freilich können nicht alle Konflikte mit eigenen Kräften bewältigt werden. Manchmal bedarf es einer neutralen, allparteilichen Unterstützung von außen. In solchen Fällen ist aus vielen Gründen Mediation sehr zu empfehlen.

Mediation in Deutschland ist ausbaufähig. Die Tatsache, dass es seit einigen Jahren in Deutschland ein Gesetz zur Förderung der Mediation gibt, zeigt ja wohl auch, dass es Raum nach oben für eine Förderung gibt, wir uns also diesbezüglich noch nicht in einem weit fortgeschrittenen Stadium befinden.

Im Gegensatz etwa zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist Mediation in der Tat bei uns noch nicht so verbreitet und im allgemeinen Bewusstsein der Menschen. Das kann daran liegen, dass wir dazu neigen, Konflikte eher vorrangig negativ zu bewerten und sie von Dritten klären zu lassen, also ihre Lösung aus der Hand geben, statt sie eher eigenständig, also in Eigenregie zu lösen. Für Konflikte sind bei uns häufig primär Anwälte und Gerichte zuständig, obwohl man eigentlich wissen kann, dass sich viele Konflikte durch eine gerichtliche Entscheidung nicht wirklich lösen lassen. Häufig liegt, wie man so schön sagt, die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Und die Konfliktparteien wissen in der Regel besser, was für beide Seiten verträglich wäre. Sie kommen nur nicht zusammen, nicht ins Gespräch, um gemeinsam und eigenständig einen Weg, einen Ausweg zu finden, der für beide Seiten gangbar ist.

Mediation ist kein Allheilmittel, sondern eine Hilfe, in einem geregelten, fairen Verfahren schließlich zueinander zu finden, die wechselseitigen Interessen zu entdecken und die der anderen Seite zulassen zu können. In vielen Fällen, von Schulen angefangen bis zu ganz unterschiedlichen Einrichtungen oder Firmen, gibt es aber zunehmend eine Streit- und Konfliktkultur, die diese alternativen Lösungsmöglichkeiten entdeckt, zulässt und fördert.

Sie sind seit März Schirmherr der Deutschen Stiftung Mediation . Womit haben wir Sie gewonnen? Wodurch haben wir Sie überzeu- gen können, diese Schirmherrschaft anzunehmen?

Wie eben bereits zum Ausdruck gebracht bin ich von den Vorteilen einer alternativen Streit- und Konfliktkultur überzeugt. Es geht darum, diese Möglichkeiten bekannter zu machen. Die Deutsche Stiftung Mediation setzt sich selbstlos, ohne vordergründige Eigeninteressen zu verfolgen, für die Verstärkung der Bekanntheit der Mediation als einem Klärung- und Lösungsprozess ein. Und dies in einem Stadium, in dem noch die Chance besteht, dass Konfliktparteien bei allen Schwierigkeiten an einem Tisch zu versammeln und miteinander ins Gespräch zu bringen sind. Also bevor sie sich nur noch feindlich vor Gericht begegnen und den anderen um allen Preis besiegen oder gar vernichten wollen.

Ich bin überzeugt, dass eine verbesserte Kultur der Auseinandersetzung, des Streits und der Konflikte in einem erheblichem Umfang Energie, Zeit und Kosten sparen hilft und am Ende in vielen Fällen langfristig zu einem verbesserten Zusammenleben beiträgt. Diese Überzeugung entspringt meinen eigenen Erfahrungen. Diese decken sich aber auch mit den erklärten Zielen der Deutschen Stiftung Mediation Und das war ausreichender Beweggrund für mich.