Im Gespräch mit Dr. Reiner Ponschab

Unser Interviewpartner, Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator Dr.  Reiner  Ponschab,  hat nach mehr als  30 jähriger Tätigkeit als Wirtschaftsanwalt und als Partner einer großen deutschen Anwaltskanzlei vor  2 Jahren eine erfolgreiche Kanzlei für außergerichtliche  Konfliktlösung gegründet.

Wie sehen Sie den Stellenwert der Mediation in Deutschland?


Weil es an seriösen Statistiken fehlt,  kann ich mich nur auf meine persönliche Erfahrung und mein Gefühl verlassen. Vielleicht kann man die Situation mit der Einführung der Elektromobilität  zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs in Deutschland vergleichen. Sie stagniert auf niedrigem Niveau, obwohl alle Vernunftargumente für  eine Steigerung sprechen. Aber Lust und Vernunft sind Rivalen, bei denen fast immer die Lust, die Lust am Streiten wie die Lust am schnellen Fahren, triumphiert. Die Lust am Streiten und die hohe Emotion,  die die meisten Parteien in einem Konflikt begleitet, verleitet sie immer wieder dazu, der anderen Seite die erlittene Unbill  mit dem Schwert des Gerichtsverfahrens heimzahlen zu wollen. Oft merken die Parteien erst, was sie betreiben, wenn sie in das eigene Schwert stürzen.
 

Das klingt ja sehr dramatisch. Woran könnte das liegen?


Nach meiner Jahrzehnte langen Erfahrung liegt das einfach daran, dass der Mensch in einem Konflikt mit zunehmender Eskalation im wahrsten Sinn des Wortes den Verstand verliert , bis er nach der Einteilung des Konfliktforschers Glasl  auf Stufe neun anlangt, die er als „Gemeinsam in den Abgrund“ bezeichnet. Aber auch im Falle des Sieges vor Gericht fühlt man sich manchmal an den Spruch des  Pyrrhus, König der Molosser, nach seinem erfolgreichen Feldzug gegen die junge römische Republik erinnert, der seinem Feldherrn sagte: „Noch so ein Sieg und wir sind verloren.“

 

Woran könnte es liegen, dass die Parteien siegessicher in Prozesse ziehen und diese oft niedergeschlagen verlassen?


Das liegt wohl daran, dass die Parteien glauben, das Gericht könnte Ihnen Gerechtigkeit verschaffen. Das kann es nicht, es kann nur ein Urteil sprechen.
Als junger Anwalt habe ich diese Weisheit von einem älteren Richter an einem Münchner Gericht gelernt. Als damals mein Mandant erbost dem Richter entgegen rief: „Ich will Gerechtigkeit!“,  schaute er ihn nachdenklich an, zeigte dann auf das offene Fenster im  4. Stock und sagte: „Wenn sie Gerechtigkeit wollen, müssen Sie da hinunter springen“. Dann zeigte nach oben in Richtung des Himmels und sagte: „Dort oben bekommen Sie Gerechtigkeit, bei mir bekommen Sie ein Urteil“. Diese Szene hat mich mein ganzes Anwaltsleben begleitet und hat mir die Möglichkeiten eines Gerichtsprozesses verdeutlicht. 

 

Woran liegt nach ihrer Meinung die schleppende Entwicklung der Mediation in Deutschland?


Dafür gibt es viele Gründe. 

Zunächst einmal wird die Mediation bei uns nicht durch staatliche Maßnahmen direkt gefördert. 

In Italien gibt es beispielsweise die Verpflichtung, dass vor einem Verbraucherstreit eine Mediation durchgeführt werden muss, weil ansonsten die Klage unzulässig wäre. Der europäische Gerichtshof hat die Rechtmäßigkeit dieser gesetzlichen Verpflichtung vor wenigen Tagen ausdrücklich bestätigt. In England kann der Kläger erhebliche Kostennachteile erleiden, wenn er dem Gericht nicht nachweisen kann, dass er vor Erhebung der Klage ernsthafte Versuche zu außergerichtlichen Streiterledigung unternommen hat. Bei uns fehlen solche Maßnahmen,  insbesondere aber auch eine Mediationskosten-Hilfe. Das führt zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass der Staat zwar den Prozess einer mittellosen Partei finanziert, nicht aber die Mediation als Versuch einer einvernehmlichen Konfliktlösung. 

 

Haben Sie noch weitere Gründe, warum die Mediation nicht richtig vorankommt?


Ja natürlich. 

Es liegt auch an dem jahrelangen Versagen der juristischen  Ausbildung, das ungebrochen andauert. An vielen Universitäten war und ist eine klare Abwehrhaltung gegenüber diesen neuartigen Ansätzen zu merken, die die traditionelle Professorenschaft nicht unterrichten konnte und kann, weil sie sie nicht beherrscht, teilweise auch nicht versteht. Die so genannten Schlüsselqualifikationen werden an deutschen Universitäten fast ausschließlich von  Lehrbeauftragten durchgeführt, die nicht aus dem akademischen Bereich kommen. 

Da scheint sich in letzter Zeit aber etwas zu verändern. Ich habe gerade ein bemerkenswertes Buch über Vertragsverhandlung auf meinem Tisch liegen, das von zwei jungen Rechtsprofessoren geschrieben wurde. Vielleicht klärt die nachfolgende Episode die Lage ein wenig: Ein Rechtsprofessor zeigte mir einmal eine Zivilrechtsklausur mit der Frage, ob ich sie nach längerer Abwesenheit vom Universitätsbetrieb  noch lösen könnte. Als ich die Klausur durchgelesen hatte, fragte ich ihn, warum er die Frage nach juristischen Ansprüchen gestellt habe, statt zu fragen, wie man das Problem lösen könne. Er schaute mich verwundert an und sagte dann: „Das wäre doch viel zu einfach“. 

Dieser Haltung  liegt das Versagen der Jurisprudenz als Konfliktlösungstechnik zugrunde. Das Recht ist eine reine Konfliktentscheidungstechnik. Das juristische Denken in Ansprüchen skelettiert alle Lebensvorfälle so lange,  bis nur noch die rechtsbedeutsamen  Knochen übrig bleiben, die darüber entscheiden, ob jemand einen Anspruch hat oder nicht. Niklas Luhmann hat das als „Reduktion der Komplexität“ bezeichnet. Daran zeigt sich, dass das Recht als Konfliktlösungstechnik nicht geeignet ist..
 

Fällt Ihnen noch ein weiterer Grund ein?

Ja, durchaus. 

Ich denke, dass auch die mangelnde Professionalität – nicht die mangelnde Qualität!!  – der Tätigkeit der meisten Mediatoren ein Grund ist. Die  zu geringen Einkünfte aus der Mediationstätigkeit  führt meist dazu, dass die Mediatoren die Mediation „nebenbei“ betreiben, auch betreiben müssen, was letztlich genau so erfolgreich ist wie die Tätigkeit eines Anwalts, der tagsüber Taxi fährt und abends dann einen Fall bearbeitet. Ich habe das erkannt und vor zwei Jahren mit drei Partnern eine Kanzlei gegründet, die ausschließlich außergerichtliche Konfliktlösung betreibt. Wir Partner widmen unsere gesamte Tätigkeit ausschließlich diesem Ziel, während noch weitere 20 Mediatoren mit  uns arbeiten, die in der Übergangszeit auch noch andere Tätigkeiten ausüben. Ich glaube dass diese Entscheidung richtig war, denn der Erfolg ist bemerkenswert.

 

Wie könnte man denn das Schiff der Mediation in Deutschland flott machen?


Das ginge durchaus, wenn alle Beteiligten zusammen arbeiteten und ehrliches Interesse daran hätten, die Sache voran zu bringen. 

Das fängt beim Gesetzgeber an, der beispielsweise Kostenvergünstigungen bei den Gerichtsgebühren für fehlgeschlagene Mediation vor Klageerhebung gewähren, beziehungsweise dem Kläger Kostennachteile auferlegen könnte, der nicht den ernsthaften Versuch einer außergerichtlichen Streiterledigung nachweisen kann.
Auch die Justiz  bzw. prozessfreudige Anwälte könnte beispielsweise etwas dazu beitragen, wenn sie eine Anwaltshaftung annähmen, wenn ein Anwalt vor einem Prozess seine Partei nicht ausführlich über die Möglichkeiten einer außergerichtlichen Konfliktlösung beraten hat und sich diese Partei dann in dem Prozess einigt. Dann spricht alles dafür, dass die Partei dies auch in einem außergerichtlichen Konfliktbeilegungs-Verfahren getan hätte, so dass hier ein fahrlässig verursachter Schaden in Höhe der Gebühren für den Prozess entstanden ist. Nach Paragraph 253 ZPO soll der Kläger in der Klage angeben, ob er vor Klageerhebung ein Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung durchgeführt hat und ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen. Die wenigsten Gerichte haken bei den Klägern nach, sich zu diesem Punkt detailliert zu äußern. Dadurch würden nämlich viele Klageparteien aufmerksam, dass es ja auch noch andere Wege gibt, den Konflikt zu behandeln.
Auch die Rechtsfakultäten und die Verantwortlichen der Referendarausbildung  könnten durch prüfungsrelevante und hochqualifizierte  Angebote zum Bereich außergerichtlicher Konfliktlösung das Bewusstsein der jungen Juristen für dieses Gebiet schärfen. Zwar sind die  Schlüsselqualifikationen als Ausbildungsgegenstand im deutschen Richtergesetz vorgeschrieben, da sie aber nicht prüfungsrelevant sind, lernen die Studenten in einer prüfungsfokussierten  Umgebung lieber die anderen Gebiete.

 

Gibt es noch etwas, was sie unseren Lesern mitteilen möchten?


Soweit es sich bei ihren Lesern um Mediatoren handelt, kann ich nur dringend empfehlen, nicht so sehr um den eigenen Nabel zu kreisen, sondern mehr darüber nachzudenken, was die Nutzer von Mediation brauchen. Also nicht so sehr nach innen, sondern mehr nach außen gehen.

Das Interview mit Dr. Reiner Ponschab führte Viktor Müller.